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Dieter Hoof
Richtigstellungen

Zur Rezension von Sabine Andresen über:
Dieter Hoof, Opfer - Engel - Menschenkind. Studien zum Kindheitsverständnis in Altertum und früher Neuzeit. Bochum 1999. In: Zeitschrift für pädagogische Historiographie (Zürich) 2/2001, S. 133f.

Die Rezension über mein Buch enthält eine unglaubliche Fülle von sachlichen Fehlern, Ungenauigkeiten, Umgewichtungen und Unterstellungen bis hin zu Ironisierungen. Hinzu kommen begriffliche Unrichtigkeiten, die der Leser nicht alle sogleich als von der Rezensentin stammend erkennen kann und die demzufolge geeignet sind, Irritationen über meine Untersuchungen hervorzurufen. Im Interesse einer in der Sache ehrlichen Diskussion ist es geboten, wenigstens die direkt in die Augen fallenden Fehlerhaftigkeiten zu benennen.

Zunächst ist richtigzustellen: "Opfer - Engel - Menschenkind" tritt überhaupt nicht mit dem Anspruch auf, eine "Geschichte der Kindheit" zu sein, wie Rezensentin in ihrem letzten Absatz tautologisch unterstellt ("... historische Rekonstruktion einer Geschichte der Kindheit"). Vielmehr handelt es sich um - stellenweise miteinander verbundene - Einzelstudien über das mentalitätsgeschichtliche Problem des Kindheitsverständnisses, woraus sich Beiträge für eine zukünftige Geschichte der Kindheit ergeben mögen.

Zu Anfang der Rezension wird einem Aufmacher ähnlich das in Theodor Storms Novelle "Der Schimmelreiter" vorkommende Bauopfer eines Hundes hochgespielt, obzwar es in meiner Arbeit kaum eine Bedeutung hat. Nur in einer Anmerkung bei der Erörterung der alttestamentlichen Jericho-Überlieferung im Zusammenhang mit den möglichen Bauopfern von Kindern findet sich ein ergänzender Hinweis darauf (Hoof S. 103). Storm wird dort n i c h t wie in der Rezension angegeben von mir zitiert. Auch habe ich nicht unter Einbeziehung des Schimmelreiters eine Linie "kultureller Nachhaltigkeit von [Kinder-]Opferpraktiken und -erzählungen letztlich ... vom Altertum bis in die Gegenwart" gezogen, ganz abgesehen davon, dass "Opferpraktiken und -erzählungen" nicht von vonherein in eins gefasst werden können (Rezension S. 133). Die Schimmelreiter-Thematik ist bei Storm Bestandteil einer Zeitlage. Auf diese kommt es primär an. Die Opfer-Tradition in der Novelle verweist - analytisch gesehen - auf Kinderopfer-Ursprünge in der vorchristlichen Zeit Nordfrieslands. In der Novelle selbst geht es schon um eine Auslöse-Opfer. Über diese Opferart ist in meinem Buche bereits vor der betreffenden Anmerkung auf S. 103 ausführlich gehandelt worden, was Rezensentin offenbar nicht zur Kenntnis genommen hat. Aber wie gesagt, der Inhalt der Anmerkung stellt - in meiner Erörterung - nur eine Ergänzung dar.

Von Hinweisen auf Textstellen in meinem Buche darf der Leser erwarten, dass sie inhaltlich stimmen, und von Zitaten, dass sie richtig wiedergegeben sind. An besagter Stelle schreibt Rezensentin weiter: "... hat der Autor eine Botschaft für seine Zeitgenossen, und zwar die, dass sich im Zuge der Fortschrittsgeschichte zwar die Formen, aber nicht die Ursprünge kindlichen Leidens verändert hätten." Die Formulierungen "im Zuge der Fortschrittsgeschichte" und "Ursprünge kindlichen Leidens" habe ich nicht benutzt; sie entsprechen weder den Absichten noch den Ergebnissen meiner Untersuchungen. (Weitere Falschzitate im Folgenden.) Ich habe auch keine "Botschaft" für meine "Zeitgenossen" mitzuteilen.

Das Buch enthält mentalitätsgeschichtliche Studien, für die in der Einleitung erkenntnisleitende Bestimmungen oder Leitbegriffe im Hinblick auf die Anwendung einer immanenten Hermeneutik formuliert werden. Den wichtigsten Leitbegriff darunter, das im Zusammenhang kindlicher Lebensnot formulierte "Lebensrecht des Kindes", versucht Rezensentin als "übergreifende Einschätzung", durch welche Kindheitsgeschichte "relativiert" wird, abzuqualifizieren. Eigentlich ist es überflüssig, darauf hinzuweisen, dass ohne erkenntnisleitende Bestimmungen oder Leitbegriffe Problemfelder nicht in den Blick der Forschung kommen. (Das steht in jedem Lehrbuch erziehungswissenschaftlicher Methoden.) Nicht mehr nachvollziehbar ist, wenn Rezensentin die Leitbegriffe dann noch als "historische Bewertungskriterien" bezeichnet, als wenn ich der Geschichte hätte Zensuren erteilen wollen.

In der Einleitung des Buches habe ich Lloyd deMause mit seinem bekannten Buchtitel zur Sprache gebracht. Rezensentin findet es offenbar witzig, das zu kolportieren, indem sie textet, dass "... Hoof mit Lloyd deMause die Kinder weinen hört". Es ist hier nicht der Ort, darüber zu sprechen, dass dieser Autor die erziehungsgeschichtliche Diskussion um wesentliche Thesen und Leitbegriffe bereichert hat. Wohl aber sei unmissverständlich festgehalten, wie Rezensentin bereits im Untertitel der Rezension Lloyd deMause in ihre ironisierende Kritik an meinem Buch hineinzieht, und zwar durch Einfügung seines von ihr verfremdeten Buchtitels daselbst - ohne Quellenangabe. Aus "Hört ihr die Kinder weinen" macht sie, um mich zu annoncieren, an besagter Stelle "Seht ihr die Kinder leiden". Im Übrigen handelt es sich hierbei um ein justitiables Plagiat.

Im ersten Kapitel des Buches geht es entgegen der Behauptung in der Rezension nicht nur um eine Auseinandersetzung mit "alttestamentarischen Geschichten" über Kinderopfer-Kulte (es müsste hier wie an weiterer Stelle richtiger heißen: "alttestamentlichen..."), sondern das Augenmerk richtet sich, wie ausführlich dargestellt, außer auf erzählende Texte auf Gesetzestexte, prophetische Texte und Gebetstexte, die gegenüber den "Geschichten" sogar überwiegen. Auch wird nicht nur die "israelitische Religionsgeschichte" verhandelt, sondern die Erörterung berücksichtigt den westsemitischen Kulturkreis mit den Baal-/Moloch-Kulten insgesamt, einschließlich der Karthager. (Letzteren sind allein 16 Seiten gewidmet.) Es sei der Rezensentin zugestanden, dieses Kapitel als "düster konstruiert" anzusehen, aber es enthält die literarhistorisch und archäologisch fassbaren Gegebenheiten. Und es wird tunlichst überschlagen, dass im Verlauf des Kapitels textliche und archäologische Belege zur Sprache kommen, welche auf die Überwindung der Kinderopfer-Kulte verweisen. Mir eine "Verdammung der alttestamentarischen Erzählungen" zu unterstellen, ist eine sit venia verbo bösartige Absurdität. Und dass ich dabei dann noch den "komplexen Kontext" nicht berücksichtigt haben soll, wie man auf Seite 34 der Rezension bei der Überleitung zum Kapitel über Brauron lesen kann, ist angesichts der ausführlichen Darlegungen im Buch S.21ff. et passim nur noch durch unzureichende Kenntnis des Buches durch die Rezensentin zu erklären.

Indem Rezensentin angibt zu zeigen, "wie Hoof vorgeht", schreibt sie, "Die alttestamentarischen Opferungsgeschichten" (eine Wortbildung der Rezensentin) seien [für Hoof] "der Ausgangspunkt für die Bewertung der späteren Epochen..." Was soll ich "bewertet" haben? Und um welche "späteren Epochen" soll es sich handeln, die von besagten "Opferungsgeschichten" aus "bewertet" worden sein sollen? In direktem syntaktischen Anschluss an diese Behauptungen wird weiter behauptet: "Er [Hoof] verlegt zunächst den zeitlichen Ursprung der Kinder-Opferpraxis in die erste Hälfte des 2. Jahrtausends vor Christus..." Das ist eine sehr ärgerliche Unwahrheit, denn in diesem Zusammenhang gibt es nichts durch mich zu "verlegen". Ich habe lediglich zum Zwecke des kontextuellen Verständnisses der nachfolgenden Darstellung bekannte Auffassungen über die alttestamentliche Chronologie in allgemeiner Hinsicht mitgeteilt, so unter anderem, dass die sog. Abraham-Gruppe wahrscheinlich während der ersten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends in den syrisch-palästinensischen Raum eingewandert ist (Hoof S. 24f). In dieser Periode sind Kinderopfer anzunehmen (Hoof S.23). Ein zeitliches Einsetzen des Kinderopfer-Kultes ist dadurch nicht bestimmt. Es gab auch vorher schon eine lange Religionsgeschichte im Vorderen Orient.

Auch wenn ich "in akzentuierter Weise nach den betroffenen Kindern selbst zu fragen" bemüht bin, wie Rezensentin mich zum Zwecke der Aufdeckung eines überzogenen Anspruches ironisch zitiert ("Hoof tritt nun an..."), so habe ich - was die alttestamentlichen Gesellschaften anbetrifft - eben nur die Frage gestellt, aber keine "Rekonstruktionen" versucht, wie mir unterstellt wird, sofern mit diesem Begriff eine Darstellung des Kinderlebens jener Epoche gemeint ist. In den Vorbemerkungen zu dem betreffenden Kapitel S. 22 ist ausdrücklich dargelegt, dass durch eine Untersuchung des Kinderopfer-Brauches eine "Alltagsgeschichte des Kinderlebens ... noch nicht in den Blick kommt". (Wenn Rezensentin ein dickes Buch zu rezensieren beabsichtigt, so muss erwartet werden, dass sie es zuerst richtig liest.) Die vollmundigen Abqualifizierungen im zweiten Abschnitt der zweiten Kolumne des Rezensionstextes treffen den Buchautor am allerwenigsten.

Im Zusammenhang der Erörterung der Erzählung von Abraham und Isaak wird mir das folgende unterstellt: "... der Autor überlegt, wie sich Isaak gefühlt haben mag, als er gemeinsam mit dem Vater, dem Holz, dem Feuer und dem Messer, aber ohne Opferlamm den Berg hinaufstieg". (Hier folgt noch eine sinnentsprechende Behauptung betreffend die Untersuchung der Opferung von Jephtas Tochter durch ihren Vater) (Hoof S. 50ff.; 109; Rezension S. 133). Abgesehen davon, dass diese bestimmte Formulierungsweise nicht die meinige ist, habe ich den angesprochenen Gedanken nicht ausgearbeitet, sondern vielmehr an späterer Stelle zum Ausdruck gebracht: "Das Kind Isaak muss einen Leidensweg der Todesangst gehen, für den es kaum noch eine Steigerung gibt..." (Hoof S. 56). Allerdings kommen im Bibeltext selbst (aufgeführt bei Hoof S. 48) und in einem bei mir wiedergegebenen Text von Immanuel Kant zu Abrahams Opfer Ausführungen vor, die in die Nähe dessen rücken, was mir hier nachgesagt wird. (Sollte da etwas verwechselt worden sein?) Indem Rezensentin den unterstellten Phantomtext als argumentative Basis hernimmt, führt sie weiter aus, dass ich "moralisch empört über die Opferung von Kindern" sei und "aus dieser Perspektive ... nach den Empfindungen der Opfer" frage. In Art und Weise der Zitierform wird mir dabei auch "gesunder Menschenverstand" untergeschoben, ebenso wie "Empathie" für Kinder (wozu bedarf letzteres der Erwähnung?). Aber das habe, so heißt es dann, "wenig mit historischer Forschung zu tun". Diese Sottise setzt voraus, dass Schreiberin selbst weiß, was historische Forschung ist. Ihrem Anspruch tut sie jedoch nicht dadurch Genüge, dass sie meine Darstellung des Abraham-und-Isaak-Problems mit der Kennzeichnung "moralisch aufgeladene Spekulationen" belegt und als eher einem "gestaltpädagogischen Unterricht" denn der Geschichtsforschung zugehörig verlächerlicht. Eine Erzählung wie die von Abraham und Isaak steht doch überhaupt nicht als historiographische oder kasuistische Quelle im konkreten Sinne zur Diskussion; ihre Bedeutung liegt in der symbolischen Repräsentation des historischen Bewusstseinsinhaltes einer Überwindung des Kinderopfer-Zwanges. Bezweifeln möchte ich hier auch, dass Rezensentin Kenntnisse über die einschlägige theologisch-katechetische und religionsgeschichtliche Literatur hat.

Fragen nach den Empfindungen und der psychischen Verfassung von Kindern, denen der Tod auf dem Blutaltar bevorsteht, sind selbstverständlich legitim, auch wenn wir sie nur selten konkret beantworten können. Ich habe das in den untersuchten Bereichen auch nicht im einzelnen versucht. Mit diesen Fragen wird aber dem Paradigmenwechsel in den historischen Sozialwissenschaften Genüge getan, wonach Betroffene selbst in den Blickpunkt geraten und der Diskurs sich nicht immer nur um die Verursacher drehen kann. Viktimologie, emanzipatorische Erziehungswissenschaft und Frauenforschung haben hier längst die Richtung gewiesen.

Was dann noch den schon genannten Begriff "moralisch", anbetrifft: Dieses Wort und die Formen "Moral", "Moralität" und "moralisierend" finden sich fünfmal im Rezensionstext - zur abwertenden Kennzeichnung meiner angeblichen Grundposition hinsichtlich der Kindheitsforschung. Im Buch kommen aber in dem bezeichneten Sinne weder Begriffe mit "Moral" noch solche aus dem semantischen Umfeld überhaupt vor. Denn "Moral", was immer Rezensentin selbst darunter versteht, ist nicht Thema oder Leitgedanke der Untersuchungen. Auch die Eltern, die ihr Kind auf den Blutaltar legten, hatten "Moral". Das Buch handelt von konkreten Lagen in der langen Geschichte der Entbindung der Menschen aus tiefen Bewusstseins- und Handlungszwängen, die sich in einer ebenfalls über lange Zeitalter währenden Sozial- und Religionsgeschichte aufgebaut haben.

In Verfolgung dieses Untersuchungs-Vorhabens gehören rezeptionsgeschichtliche Sachverhalte und zeitgeschichtliche Bezüge ausdrücklich und durchgehend zum Gesamt-Konzept der vorgelegten Studien. Das macht Rezensentin im Zusammenhang mit meinem Aufweis von Abraham und Isaak in Schulbüchern fragwürdig. Ohne Konkretes zu benennen, wird meine - wie es heißt - "Kritik" an den Schulbüchern als "zwangsläufig [sic!] fragmentarisch und unbefriedigend" bezeichnet, weil ich doch einen "wissenschaftlichen Beitrag zur Kindheitsgeschichte leisten" wolle. Kann man das nach Kenntnisnahme meiner Vorlagen S. 60ff. und der sonstigen einschlägigen Stellen allen Ernstes so behaupten?

Rezensentin macht des weiteren den Leser glauben, dass der im zweiten Kapitel über Brauron in Griechenland zur Rede stehende, über Jahrhunderte verlaufene Prozess des Gestaltwandels der Göttin Artemis von einer menschenopfer-fordernden zu einer die Frauen und Kinder bewahrenden Kraft eine subjektive Erkenntnis von mir sei, und sie unterstellt mir in diesem Zusammenhang die Benutzung des - wirklich unpassenden - Begriffes "Paradigmenwechsel" ("... Artemis, die ... in den Augen des Autors einen Paradigmenwechsel hin zur Humanität auslöste..."). Es tut sich die arge Vermutung auf, dass Schreiberin keine Kenntnis über die komplexe Artemis-Forschung und -literatur besitzt und schon gar nicht über deren Affinität zur Frauen- und Geschlechterforschungforschung informiert ist. (Eine neueste Arbeit: Angela Lanza, Sono stata orsa a Brauron - Storie di lotte contadine al femminile in Sicilia, Messina 2000.) Das inkriminierte Kapitel beschreibt analog zum ersten Kapitel über die alttestamentlichen Gesellschaften und den Baal-/Moloch-Kult den langen Weg der Überwindung und Verwandlung des Menschen- und Kinderopfers in Griechenland und die maßgebende Rolle der Artemis-Priesterinnen dabei. Zwar sind - insbesondere wegen unterschiedlicher kulturanthropologischer Gegebenheiten - die Quellen meistens von anderer Art als im vorausgehenden Kapitel, aber ein prinzipieller Unterschied, namentlich hinsichtlich des Kinderopfers, kann zwischen den beiden Kapiteln nicht konstruiert werden.

Das Kapitel über Brauron stellt auch keineswegs eine "vor allem kunsthistorische Darstellung des Artemis-Heiligtums"dar, wie es unvermittelt im Anschluss an die Besprechung des ersten Kapitels behauptet wird. Das kann man doch wahrhaftig leicht erkennen. Eingebunden in eine breite, die Politik-, Sozial- und Literaturgeschichte mit ihren vielfältig aufscheinenden Brauron-Bezügen berücksichtigende kontextuelle Erörterung wird der mythologische und religiöse Zusammenhang des Heiligtums mit dem Iphigenienopfer aufgezeigt, und das Heiligtum selbst wird vermittelst des archäologischen Begriffsinventars so beschrieben, dass man sich vielleicht sogar die dort wohnhaft gewesenen Kinder, ihre Lebensumstände und die institutionalisierten Lernprozesse vorstellen kann. Kunsthistorische Fragen betreffen hierbei eher Teilaspekte. Für die zur Rede stehenden Kinderbildnisse gilt Entsprechendes; es hätte sonst ausführlicher über ihre spätklassisch-frühhellenistischen Stilmerkmale gehandelt werden müssen. Ist Rezensentin möglicherweise über die Gegenstandsfelder der Altertumswissenschaften ebenfalls nicht informiert? Mir des weiteren nachzusagen, ich hätte bei der Untersuchung über die Kinder von Brauron nicht nur eine "Idealisierung ästhetisierter Kindheitsvorstellungen" vorgenommen, sondern ich hätte es auch unterlassen, "den komplexen Kontext zu berücksichtigen" (Rezension S.134 oben), bedeutet angesichts meiner ausführlichen und mehrschichtigen Annäherung an die Sachverhalte in ihrer strukturellen Vernetzung mit den kulturellen Gegebenheiten der griechischen Geschichte S. 131ff. et passim wahrlich eine Perfidie. Hier kann ich nur noch hoffen, dass der erstaunte Leser das Buch selbst zur Hand nimmt.

Unverständlich ist (jedenfalls mir), was Rezensentin mit der mir zugeschriebenen "Idealisierung ästhetisierter Kindheitsvorstellungen" meint. Die Wendung ist im anstehenden Forschungsbereich ungewöhnlich und für den interdisziplinären Diskurs ungeeignet. Sie wird bei altertumswissenschaftlichen Fachvertretern möglicherweise sogar Spott evozieren. Wenn mit "ästhetisierten Kindheitsvorstellungen" die in der Untersuchung vorkommenden spätklassischen Skulpturen angesprochen sein sollen, die von mir (oder von den Bildhauern?) "idealisiert" worden seien, so muss sich die Wortbenutzerin sagen lassen, dass in der klassischen griechischen Kultur mit ihrer gegenüber heute andersartigen "Medienwelt" Kunstwerke wie die hier herangezogenen in einer Alltagskorrespondenz standen und von daher für Mentalitätsuntersuchungen förmlich prädestiniert sind.

Was von der Rezensentin in ihren Ausführungen über die beiden Kapitel "Eroten, Engel Gottes und das göttliche Kind" sowie "Eine Stadt und ihre Kinder" (Florenz in der Frührenaissance betreffend) an Fehlerhaftigkeiten und Unterstellungen präsentiert wird, ist unerträglich. Ich will trotzdem versuchen, mich der Sachlichkeit zu befleißigen. Zunächst wird gesagt, dass es in den beiden Kapiteln "um Kinder als Engel und damit um das für Hoof angemessene Verständnis vom Kind" gehe. Hier geht es nicht um das für mich angemessene Verständnis vom Kind, sondern um den historischen Aufweis des schon in der Antike grundgelegten Vorstellungsmusters "Engel", welches Jahrtausende lang lebendig geblieben ist und in seiner kindlichen Ausprägung von der Frührenaissance an bis in unser heutiges Leben eine vielgestaltige Korrespondenzebene für die Wahrnehmung von Kindern dargestellt hat und darstellt. In enger Verschränkung damit hat sich das göttliche Kind mit seiner Mutter im Bewusstsein der abendländischen Welt einen denkbar festen Platz erworben. Die Erforschung dieser Sachverhalte ist für eine postmoderne Erziehungswissenschaft schon viel zu lange Desiderat geblieben, gerade auch im Hinblick auf Alltagspraxis. - Bei der Avisierung des Problemfeldes in der Einleitung S. 17 habe ich dann noch geschrieben: "Kinder als Engel sind Wesen von einer ursprünglichen, göttlichen Natur, die den Erwachsenen verloren gegangen ist." Indem Rezensentin diesen Satz aus dem Text reißt, will sie dem Leser weismachen, dass in den beiden Kapiteln von mir persönlich "Kinder als Engel" verstanden werden. In dem betreffenden Abschnitt der Einleitung wird hingegen bereits auf die diesbezüglichen mentalitätsgeschichtlichen Strukturen der Zeitalter hingewiesen, mit denen die Untersuchung befasst ist und die jenseits meiner Subjektivität stehen. Das hat sie wohl ganz und gar übersehen, auch die Tatsache, dass im Titel des Buches außer "Opfer" und "Engel" noch ein dritter sinntragender Begriff vorkommt.

Der Rezensionstext über das Florenz betreffende Kapitel enthält in jedem Satz eine Falschaussage. So heißt es S. 134, "dass er [Hoof] ... die Renaissance am Beispiel von Florenz untersucht". Wer das liest, ohne das Buch zu kennen, muss daraus entnehmen, dass Hoof der Hybris verfallen ist. (Ob Rezensentin eventuell keine Kenntnis darüber hat, welchen Stellenwert Florenz in der Geschichte der Renaissance-Epoche allein in quantitativer Hinsicht hat?) Meine Untersuchung befasst sich - wie es allenthalben expressis verbis zum Ausdruck kommt - mit einem bestimmten Mentalitätskomplex in einem bestimmt umgrenzten sozialen Bereich für den spezifischen Zeitraum der Frührenaissance, deren Lebensformen sich aus denen des Spätmittelalters herausgebildet haben. - Des weiteren steht der Satz zu lesen "dass er [Hoof] ... dort ebenfalls nach der Ästhetisierung des individuellen Kindes fragt". Ich habe weder nach einer "Ästhetisierung" noch nach dem "individuellen Kinde" gefragt. Das bei mir nicht vorkommende, wohl auch kaum treffende Wort "Ästhetisierung" meint offenbar wiederum Kunstwerke. Das Wort ist unüblich, und es kommt auch nicht in der die Renaissance-Epoche betreffenden sozialgeschichtlichen Literatur vor. (Vielleicht gibt es irgendwo eine wissenschaftstheoretische Begründung für diesen Begriff und eine Erläuterung seines Sinnes?) Für die Kunst der Frührenaissance gilt cum grano salis Gleiches wie für die klassische Kunst. Hauptsächliche Werkgruppen der Zeit standen in einer für uns heute erst mühsam wieder nachzuvollziehenden Alltagskorrespondenz. Und bei den herangezogenen Kunstwerken der Frührenaissance geht es anders als bei den Werken der klassischen Kunst nicht um die Frage nach dem "individuellen Kind". Auf Seite 378 des Buches ist ausdrücklich mitgeteilt: "Die besprochenen Frührenaissance-Skulpturen stellen keine bestimmten Kinder dar, sondern sie typisieren und verallgemeinern kindliche Lebensentfaltung." Eine diesbezügliche Erwähnung findet sich auch schon auf S. 368 mit einem Hinweis auf die sich in der Zeit erst anbahnende Porträt-Entwicklung. (Sie hat das Buch wirklich nicht richtig gelesen.) Der nicht-individuelle Charakter der Kinderdarstellungen wird im übrigen jedem einsichtig, der die vorgelegten Skulpturenbeispiele aufzunehmen vermag. Es hat mich befremdet, dass in der Rezension keiner der bedeutenden Künstler auch nur genannt wird. Nicht einmal Donatello, der im Strome seiner Zeit die ikonographischen und mentalen Muster "Engel als Kinder" und "Kinder als Engel" neu entfaltet und ihnen zu bleibender Geltung verholfen hat, war der Erwähnung wert. - Nur durch Unkenntnis des Buches zu erklären ist dann noch ein weiterer Falsch-Satz der Rezensentin: "Hier [in Florenz] konzentriert sich der Autor auf die Quellen über ein florentinisches Heim für Findelkinder...". Tatsächlich jedoch werden im Anschluss an eine ausführliche, kontextuell eingebundene Darstellung des "Kinder- und Jugendlebens" im Florenz der Frührenaissance drei wesentliche Quellen- bzw. Sachkomplexe abgehandelt, nämlich außer dem berühmten Ospedale degli Innocenti, welches 17 Seiten beansprucht, die "Madonnen, Mütter und Säuglinge" mit 19 Seiten sowie die Kinder und Engel ("Sie tanzen Reigen und sie singen Psalmen") mit 23 Seiten (siehe Inhaltsverzeichnis S. 7).

In ihrem Schlussabschnitt teilt Rezensentin eine wohl anderweitig von ihr erworbene Erkenntnis mit, die sie in dem Buche von Hoof "erneut" bestätigt findet, wonach es "offenbar schwer ist, wissenschaftlich über Kinder und Kindheit zu diskutieren, ohne dem Zauber des Neuen, ohne der Imagination der Unschuld und ohne der Sehnsucht nach Harmonie zu erliegen". Was soll hier den Wissenschaftlern im Allgemeinen und mir im Besonderen angelastet werden? Ob sich Frau Andresen von meiner, wie man vielleicht sagen darf: teilnehmenden Art und Weise des Zugangs zu den Problemfeldern verstört gefühlt hat? Zudem habe ich nicht über Kinder und Kindheit diskutiert, wie es da heißt, sondern ich habe geforscht und umfangreiche Sachverhalte ausgebreitet, um sie der Interpretation zugänglich zu machen. Wenn man es darauf anlegt, kann man jedes Bemühen semantisch umdeuten.

Angesichts der angeführten Ausweitung eines allgemeinen Irrationalismus-Vorwurfes auch auf meine Studien bleiben noch Hinweise darauf, dass die Rezension wesentliche, das Kindheitsverständnis betreffenden Erkenntnis-Bereiche - sie beanspruchen über verschiedene Kapitel hin den größeren Teil des Buches - überhaupt nicht zur Sprache gebracht hat, so unter anderem: Die auf das Kind bezogenen Bewusstseinsstrukturen in den westsemitischen Gesellschaften und bei den Menschen der griechischen Frühzeit, der Kampf der alttestamentlichen Gesetzgeber und Propheten gegen die Kinderopfer-Kulte und der Prozess der Verwandlung des Kinderopfers in der griechischen Religionsgeschichte, die Entfaltung der griechischen Mädchenbildung und die Rolle der Artemis-Priesterinnen sowie der Priesterinnen aus weiteren Heiligtümern dabei, die Wiederentdeckung des kindlichen Wesens in der Frührenaissance sowie die öffentliche Wahrnehmung der benachteiligten Kinder und Jugendlichen in dieser Zeit mit der Konsequenz der Etablierung von sozialen Einrichtungen, nicht zuletzt das kulturanthropologische Potential des Engel-Musters und seine Bedeutung für eine Ausdifferenzierung des Kindheitsverständnisses sowie für die Alltagspraxis. In diesen - quellenmäßig ausführlich belegten - Bereichen wäre wegen ihres Gewichtes in meinem Buche sachliche Würdigung und Kritik produktiv gewesen. Die darin liegenden Probleme, von denen aus eine Fachdiskussion in Gang kommen kann, wurden nicht einmal im Ansatz erkannt. Ceterum difficile est, de librariola satiram non scribere.


Anlage 4